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Das MagazinKolumnen

Und wer räumt jetzt die Küche auf?

Das Problem ist bekannt. Aber gute Köchinnen und Köche lassen es gar nicht erst aufkommen.

Das geht ja noch, aber haben Sie sich schon mal überlegt, welche Gerichte die größte Arbeit hinterlassen?
© Silvio Knezevic

Auf jede gelungene Mahlzeit folgt eine ziemlich unangenehme Frage: Wer räumt die Küche auf? Werden die Lasten der Hausarbeit gerecht verteilt? Darf das Haushaltsmitglied, das die Mahlzeit zubereitet hat, dabei laut Musik laufen ließ, eine halbe Flasche Weißwein verzehrte und strahlend vor Glück die gebratene Seezunge mit der Zitronenbutter auf den Tisch stellte, nach dem Essen die Beine hochlegen? Darf das anschließende Geklapper aus der Küche im Bewusstsein der Arbeitsteilung beim einen Ohr hinein und beim anderen hinaus gehen, während man wohlig seufzend und leicht beschippert die Wochenendzeitung durchblättert?

Natürlich kenne ich diese Situation aus eigener Anschauung. Wenn mich jemand fragt, ob ich meine Arbeitskraft gern vor dem Essen oder nachher zur Verfügung stellen möchte, muss ich nicht lange überlegen (und dafür ist nicht nur der Weißwein verantwortlich, selbst wenn es mein derzeit liebster Riesling, der Kallstädter Saumagen Kabinett vom Pfälzer Weingut Köhler-Ruprecht ist). Das Zubereiten von Essen ist ein kreativer, sinnlicher Prozess. Das Aufräumen der Küche hingegen offenbart sich als Pflicht, unausweichlich, aber ungeliebt.

Eine Freundin von mir erkannte das früh. Sie ist der Meinung, dass die Freuden des Kochens und die Anerkennung, die man für die zubereitete Mahlzeit bekommt, so groß sind, dass die anschließende Reinigung der Küche im Paket enthalten sein muss. Diese Methode hat, finde ich, einiges für sich. Sie beugt der Situation vor, dass der zufriedene Koch – es spricht in diesem Zusammenhang viel für die männliche Form – die Küche in ein, sagen wir, Gemälde von Jackson Pollock verwandelt, um anschließend am Dinnertable mit allerhand gelungenen Beilagendetails zu glänzen. Allein das Bewusstsein, dass man den ganzen Wahnsinn nachher nicht aufräumen muss, motiviert dazu, noch eine zusätzliche Sellerie zu entsaften oder die Pfanne, in der die Sauce beim ersten Versuch hängengeblieben ist, nicht sofort in die Spüle zu stellen.

Ein Blick in die Profiküche zeigt, dass die Belegschaft gelernt hat, jede winzige Pause zwischen den Handgriffen dafür zu nützen, den Arbeitsplatz sauber zu halten. Jedes Geschirr, jedes Gefäß, das nicht mehr gebraucht wird, verschwindet augenblicklich in der Abwasch. Jeder Abschnitt, jeder Speiserest wird in dem dafür eigens bereitgestellten Gebinde untergebracht. Der Koch Jakob Zeller aus dem wundervollen „Klösterle“ am Arlberg sammelt sämtliche Gemüsereste in einer Box und kocht daraus nach dem Ende des Service Gemüsefond. 

Das Kochen beginnt also nicht mit dem Mise en Place, dem geordneten Bereitstellen aller Zutaten, die man zu verkochen gedenkt, sondern mit dem Ausräumen des Geschirrspülers, damit gebrauchtes Material sofort dort abgestellt werden kann. Idealerweise läuft das Gerät bereits zum ersten Mal, während die Mahlzeit noch zubereitet wird, und die Küche ist, wenn das Essen serviert wird, bereits mehr oder weniger sauber.

Bei aufwändigeren Mahlzeiten habe ich mir nicht erst einmal einen leistungsfähigen Gastro-Spüler gewünscht, der verschmutzte Pfannen innerhalb weniger Minuten blitzblank macht (und nach getaner Arbeit wieder aus meiner Küche verschwindet: die Dinger haben eine beachtliche
Verdrängung). Aber natürlich erinnere ich mich auch an meinen Freund Jakob, der sich beharrlich weigerte, in seine riesige Küche überhaupt eine Spülmaschine einbauen zu lassen und stattdessen täglich einen ungeheuren Berg an Geschirr von Hand spülte. Er misstraute der Gründlichkeit des Geräts. Jede Pfanne wurde nicht nur innen, sondern auch außen gescheuert, bis selbst der strengste Küchenfeldweibel ihren Zustand für zufriedenstellend erklärt hätte, wobei, natürlich war Jakob selbst dieser Küchenfeldweibel. Er bezeichnete sich zwar lieber ironisch als „Hausfrau“, aber mit allen militärischen Befugnissen.

¹Die verschmutzte Küche wird also, ob man will oder nicht, zum Schauplatz des Geschlechterkampfes. Deshalb lohnt es sich umso mehr, Freuden und Pflichten miteinander zu verknüpfen und die Verwandlung von Chaos in Ordnung als Verlängerung des kreativen Prozesses zu verstehen. Das Aufräumen darf ja weiterhin bei lauter Musik stattfinden, und nach den eigenen Regeln. Es gibt sogar Menschen, die ihre Jackson-Pollock-Küche lieber am nächsten Morgen aufräumen, mit klarem Kopf.

¹https://www.sueddeutsche.de/stil/putzen-gleichberechtigung-kunst-1.5167246

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