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Das MagazinKolumnen

Meine Pita-Attacke auf das Virus

Covid-19 legt die Geschmacksknospen lahm – Zeit, mit einer Überdosis an Aromen aufzutrumpfen.

Eine Waffe, die keine Viren vernichtet, aber wenigstens tröstet: Chicken Musahkan.
© Carmen Palma

In den Zeiten von Covid über Essen zu schreiben hat natürlich eine paradoxe Tangente. Unter den vielen Wirkungen, die das beschissene Virus mit sich bringt, gilt der Geschmacks- und Geruchsverlust als so ziemlich eindeutigstes Symptom für eine Covid-Infektion.

Das nehme ich persönlich. Einige Freunde von mir hatten sich mit dieser Wirkung herumzuschlagen, ich zitiere den Fotografen Ingo Pertramer:

„Ich hatte keine Ahnung, ob ich gerade ein Glas Orangensaft oder Heizöl trinke…“

Eine Bekannte, die sich schon im vergangenen Frühjahr infiziert hatte, riecht und schmeckt bis heute nichts. Sie stellt sich langsam auf ein Leben ohne diese unmittelbarsten Sinne ein. Es ist, sagt sie, wie eine Amputation.

Abgesehen davon, dass ich mich übervorsichtig an die Corona-Vorschriften halte, fühle ich eine merkwürdige Verpflichtung, Mahlzeiten herzustellen, die nicht nur gut schmecken. Ich will mehr, ich will eine Überdosis Geschmack, eine Art Ausgleich für alles, was mir fehlt. Gesellschaft. Festlich gedeckte, große Tische. Überraschungen. Überfluss.

Hier kommt Sami Tamimi ins Spiel. In seinem mit Tara Wigley verfassten „Palästina“-Kochbuch finden sich zahlreiche Rezepte, die genau den geschmacklichen Wumms liefern, den ich jetzt brauche, der meine Laune hebt, wenigstens für den Augenblick. Natürlich wartet auch der Wumms darauf, demnächst in Gesellschaft genossen zu werden.

Das Wumms-Rezept: Chicken Musahkan, ein Fest der roten Zwiebel. Fingerfood, superaromatisch zubereitetes Hühnerfleisch, das mit Pitabrot genossen wird. Wir brauchen dafür 1 Bio-Freilandhuhn, in vier Stücke geteilt, 120 ml Olivenöl, 1 EL gemahlenen Kreuzkümmel, 3 EL gemahlenen Sumach, ½ TL gemahlenen Zimt, ½ TL gemahlenen Piment, 30 g Pinienkerne, 3 große rote Zwiebeln, in 2 mm dicke Ringe geschnitten (insgesamt 500 g), ein großes Pitabrot oder andere Fladenbrote, 5 g Petersilienblätter, Salz, Pfeffer. Zum Servieren: 300 g griechischen Joghurt und 1 Zitrone, in Spalten geschnitten.

Backofen auf 200 Grad Umluft vorheizen. Die Hühnerteile mit 2 EL Öl, 1 TL Kreuzkümmel, 1 ½ TL Sumach, Zimt, Piment, 1 TL Salz und reichlich Pfeffer in eine Schüssel geben und mit den Händen vermischen. Wer kein Fleisch verwenden will, kann das Huhn übrigens durch dicke Auberginenscheiben oder Blumenkohlröschen ersetzen. Huhn (oder Gemüse) auf ein mit Backpapier belegtes Backblech setzen und im heißen Ofen etwa 45 Minuten durchrösten (Aubergine 35 Minuten, Blumenkohl 25 Minuten). Dann aus dem Ofen nehmen und beiseite stellen, den Bratensaft aufheben.

In einer großen, hochwandigen Pfanne 2 EL Öl erhitzen. Die Pinienkerne hineingeben und so lange rösten, bis sie braun sind (zwei bis drei Minuten). Herausnehmen und auf Küchenpapier ablegen. Das restliche Öl mit den kräftig gesalzenen Zwiebelringen in die Pfanne geben. 15 Minuten auf kleiner Flamme braten, bis sie Farbe annehmen, aber noch nicht karamellisiert sind. 2 EL Sumach, den restlichen Kreuzkümmel und etwas Pfeffer dazugeben und gut durchmischen. Mhmm. Zur Seite stellen.

Backofengrill einschalten. Das Brot in handflächengroße Stücke reissen und unter dem Grill knusprig werden lassen. Dann auf einer großen Platte anrichten. Die Hälfte der Zwiebeln drauflegen, dann die Hühnerteile, schließlich die Flüssigkeit vom Backblech. Die restlichen Zwiebeln dazulegen, dann die Pinienkerne, die Petersilie und den restlichen Sumach (1 ½ TL) über das Fleisch geben. Mit Olivenöl beträufeln. Mit Joghurt und Zitronenspalten servieren.

Das Musakhan ist eine Wucht, der ersehnte Wumms. Der Geschmack ist muskulös, kräftig und unwiderstehlich. Er versöhnt uns mit dem Augenblick, vor allem, wenn wir noch kontrapunktisch einen kleinen, frischen Salat dazu reichen: Dafür pickeln wir 2 Gurken, die wir mit dem Sparschäler in lange Streifen geschnitten und eingesalzen haben, 20 Minuten in einer Mischung aus 60ml Apfelessig und 1 EL Zucker. Wir vermengen ½ TL hellen Sesam, ½ TL geröstete Schwarzkümmelsamen, 20 g geröstete Kürbiskerne, 2 gemörserte Korianderkörner, ½ TL Chiliflocken, ½ TL Sumach und ¼ TL Salz in einer Schüssel. Filettieren eine Zitrone, würfeln die Filets und mischen sie mit 2EL Zitronensaft, 20 g gehackter Petersilie, 10 g Estragonblättern, 15 g Dillspitzen, 15 g in Stücke gezupften Minzblättern, 4 schräg in Ringe geschnittenen Frühlingszwiebeln, 40 g Nüsslisalat, 1 ½ TL Olivenöl, Salz und Pfeffer. 

Alles vermengen, sofort servieren. Der Geschmack fährt ein wie eine Coronaimpfung, frisch, kräftig und tröstlich, wenigstens für einen Augenblick.

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