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Der Wo-sollen-wir-essen-gehen-Katalog

Welche Funktion haben eigentlich Restaurants? Restaurants, danke für den Hinweis, sind Orte, wo wir unseren Hunger und Durst stillen.

Aber sie sind noch viel mehr. Restaurants sind Sehnsuchtsorte. Sie versprechen Erlebnisse, die anderswo nicht zu haben sind, Genüsse, Unterhaltung, manchmal auch Aufklärung oder Überwindung alter Vorurteile. Zum Beispiel, wenn das Beuschel, das man woanders niemals anrühren würde, im Restaurant eine Delikatesse ist. Oder dieser vom Sommelier ausgewählte Wein aus Kalifornien: Führt er nicht mit seiner kargen Eleganz alle meine Vorurteile über kalifornische Marmeladenweine ad absurdum?

Restaurants sind also kulinarische Versuchsanstalten. Aufklärungsinstitute. Unterhaltungseinrichtungen. Das kann man mehr oder weniger objektiv so sagen.

Daneben haben sie aber auch eine wichtige gesellschaftliche Funktion. Sie sind Visitenkarten des öffentlichen, aber auch des eigenen Lebens, vielleicht auch des persönlichen Einfühlungsvermögens. Regelmäßig stehe ich vor der Frage, deren Beantwortung mir eigentlich leicht fallen müsste, sonst würden mich ja nicht so viele Leute fragen: Wo sollen wir essen gehen? Du kennst doch so viele Lokale.

Stimmt, ich kenne viele Lokale. Aber ich kenne auch die Herausforderung, welche die Empfehlung des einen oder anderen Lokals darstellt. Schließlich verlässt sich jemand auf meinen Rat, marschiert mit großen Erwartungen ans Ziel meiner Empfehlung, reist womöglich oder investiert einen besonderen Abend mit wertgeschätzter Begleitung – und erkennt in dem, was dort geboten wird, etwas ganz und gar anderes, als ich ihm versprochen habe.

Kann sein, dass ich einen Ort ausgewählt habe, dessen Speisekarte zu anspruchsvoll war und die wenig erprobten Esser überforderte. Kann sein, dass sie darauf gefasst waren, etwas ganz Besonderes zu erleben und ich habe sie nur zu einem völlig normalen Italiener geschickt, weil ich in ihrem Namen auf Nummer Sicher gehen wollte.

Ganz oft ist Geld ein Thema: „Es hat uns ja sehr gut gefallen, aber als die Rechnung kam, dachte ich, mich trifft der Schlag….“

Stimmt, kann vorkommen. Als geübter Esser ist man mit der Tatsache vertraut, dass gutes Essen auch gutes Geld kostet – und da hat man noch nicht einmal den Wein eines außergewöhnlichen Jahrgangs bestellt.

Aber auch umgekehrt, wenn es zum Beispiel darum geht, einen Bekannten oder Geschäftspartner zum Essen einzuladen: Wenn das Restaurant zu glitzy und die Rechnung zu hoch ist, dann brüskiere ich den Gast selbst dann, wenn ich die Rechnung übernehme. Klingt irgendwie komisch, aber ich erzeuge, selbst wenn ich nicht im Traum daran gedacht habe, auf diese Weise eine Schuld, von der mein Gegenüber das Gefühl hat, sie irgendwann begleichen zu müssen. Unangenehm, für meinen Gast und daher auch für mich.

Ich habe mir deshalb Restaurants in Kategorien zusammengefasst, die ein bisschen Ordnung in diesen Dschungel bringen.

Das Könnte-dir-gefallen-Restaurant. Der Konjunktiv im Titel ist natürlich mit Bedacht gewählt. Es handelt sich um ein Restaurant mit starkem Eigenwillen und Eigenarten, die man so oder so interpretieren kann: Foodsharing, Naturweine, keine fixen Menüfolgen, also Dinge, denen man mit einer gewissen Offenheit begegnen muss. Sollte man lieber niemandem empfehlen, der zum Beispiel altmodische Restaurantführer für eine verlässliche Quelle hält.

Das Musst-du-gesehen-haben-Restaurant. Eher etwas für Menschen, die gern dort sind, wo alle sind. Für den Empfehlenden relativ risikolos, weil überschwängliches Lob oder abgrundtiefer Tadel Kehrseiten derselben Medaille sind. Hauptsache, hier gewesen. Betrifft angesagte, gerade von Michelin aufgewertete oder in der Presse hymnisch besprochene Lokale, bei denen es schwieriger sein kann, einen Tisch zu bekommen als an diesem dann etwas Interessantes zu erleben.

Das  No-Bullshit-Lokal. Damit sind Orte gemeint, die sich jeder Mode entziehen und völlig kompromisslos an der Qualität des Essens arbeiten. Design und Atmosphäre des Lokals werden vom Essen völlig in den Schatten gestellt, so sehen die Hütten manchmal auch aus. Darf man nur Menschen empfehlen, die von der Schönheit eines perfekten Tellers so verzaubert sind, dass sie nichts anderes sehen. Meine persönliche Lieblingskategorie.

Das Kannst-du-nichts-falsch-machen-Lokal. Eine begehrte, aber rare Spezies. Kann eine gute Pizzeria sein oder eine Kneipe mit regionaler Küche, wo das Essen sehr gut, aber nicht entsprechend teuer ist, niemand durch die äußere Form des Lokals überfordert wird und der Service in der Regel so herzlich ist, dass selbst unroutinierte Auswärtsesser sich willkommen fühlen, aber auch abgebrühte Routiniers.

Das Ja-da-weiß-ich-etwas-ganz-Spezielles-Restaurant. Zielt einerseits, bei besserer Kenntnis des Fragestellers, auf dessen spezifische Vorlieben. Wenn er zum Beispiel Sushi mag, kriegt er ein lustiges Running-Sushi-Lokal, wenn er Innereien liebt, schickt man ihn in eine Kneipe, die weiß, wie man Kalbsnieren richtig zart hinbekommt. Die Kategorie, die am Schluss jedenfalls auf dich als Absender des Tipps zurückfällt, positiv oder negativ. Daher nur mit Bedacht zu wählen.

Das Wo-wir-damals-schon-hingegangen-sind-Restaurant. Konserviert Erlebnisse und ruft sie zurück in Erinnerung. Wir haben damals Spaß gehabt, also werden wir auch diesmal Spaß haben. Und weißt du was: Diesmal probieren wir das Beuschel und den Wein aus Kalifornien.

Wenn Sie mich also das nächste Mal fragen, wohin Sie essen gehen sollen: Geben Sie doch bitte die Kategorie an, aus welcher Sie Ihre Empfehlung wünschen.

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